Mehr Verschwörung geht nicht: Die Bilderberger sind ein geheimer Club, der die Welt regiert, heißt es. Am Donnerstag trifft er sich in Turin. Müssen wir uns fürchten? Von Georg Meck und Bettina Weiguny
Der Argwohn gegen die Eliten in Politik und Wirtschaft ist groß, jederzeit und überall. Nichts aber weckt mehr Groll und regt gleichzeitig mehr die Phantasie an als die sogenannten „Bilderberger“, Kürzel für einen Geheimclub, der angeblich die „Weltherrschaft der Superelite“ organisiert. Die „mächtigste Verschwörung auf dem Planeten“, wie es heißt. Eine „Konsensschmiede der Mächtigen außerhalb der demokratischen Strukturen“. Oder volkstümlicher: „Egal, wer die Regierung bildet, solange es ein Bilderberger ist, geht es mit der Abschaffung der Demokratie stetig weiter.“
So und noch böser tönt es aus den einschlägigen Internetforen; im Moment besonders wütend, da die vermeintlichen Bilderberg-Verschwörer aufbrechen nach Turin, wo sie sich von Donnerstag an für vier Tage treffen. Google-Oberaufseher Eric Schmidt fliegt dazu ein, Silicon-Valley-Finanzier Peter Thiel, Superreiche wie Jacob Wallenberg aus Schweden sowie diverse Spitzenmanager, vorzugsweise aus Europa und Amerika. Deutschland ist traditionell mit Ministern wie Managern vertreten. Paul Achleitner, der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, dient aktuell sogar als Schatzmeister des Clubs. Er versichert allerdings glaubhaft, von Geheimplänen nichts mitbekommen zu haben. Außerdem schwört er, kein Teil einer geheimen Weltregierung zu sein: Hätte er sonst all die Mühsal der Deutschen Bank zugelassen? Wäre die Aktie sonst gerade auf ein neues Tief unter zehn Euro gestürzt?
Gewiss, diese jährlich stattfindende Bilderberg-Konferenz, bestückt mit den Eliten aus Politik und Wirtschaft (vielen Bankern darunter), schmeichelt denjenigen, die dazu eingeladen werden. Dem Gefühl der eigenen Wichtigkeit hilft das enorm. Oder wie der Machtforscher Andrew Kakabadse schreibt: „Mit einigen der wichtigsten Leute in der Welt zu fraternisieren ist wie eine Droge. Es befördert die Teilnehmer in die am meisten bewunderten Zirkel der Macht.“
Wie geheim ist dieser Bilderberg-Bund nun wirklich? Und vor allem: Wie kommt man da rein? Gesichert ist: Der Kongress, erstmals 1954 abgehalten, tagt heuer im „NH Hotel Lingotto“ in Turin, im ehemaligen Fiat-Werk gelegen, eine sachliche Vier-Sterne-Absteige, weniger luxuriös als omnipotenten Weltherrschern gebührend, weniger mysteriös erst recht.
Der Einlass freilich ist exklusiv. Tickets kann man nicht kaufen und sich auch nicht darum bewerben. Etwa hundertzwanzig bis hundertfünfzig Teilnehmer werden jedes Jahr ausgesucht von den Mitgliedern des Organisationskomitees, eines zwei Dutzend Köpfe starken Gremiums, das wiederum alle vier Jahre neu gewählt wird. Chance auf Zutritt zur Bilderberg-Konferenz haben Leute, die etwas zu sagen haben, Mitglieder der globalen Eliten, von denen man denkt, sie könnten, aus unterschiedlichem Blickwinkel, Sinnvolles zu den Debatten beitragen. Die allermeisten kommen ein- oder zweimal in ihrem Leben dazu – insofern ist der Begriff „Bilderberger“ grob irreführend: Es handelt sich um keinen geschlossenen Club, sondern um eine Konferenz mit wechselnder Teilnehmerschar.
Bezahlt wird der Zirkus von denjenigen Mitgliedern des Auswahlkomitees, in deren Land das jeweilige Treffen stattfindet. Für Kost und Logis kommen die Teilnehmer vor Ort selbst auf. Dies entspricht dem privaten Charakter des Treffens, heißt aber nicht, dass grundsätzlich eine staatliche Mitfinanzierung ausgeschlossen wäre. Italien, ohnehin schwer überschuldet, schießt dieses Jahr nichts zu.
Richtig ist ferner: Der Debattierclub ist verschwiegen, Journalisten sind nicht zugelassen (es sein denn als geladene Vortragende). Was geredet wird, unterliegt der „Chatham House“-Regel: Nach außen darf transportiert werden, was gesagt wurde – aber nicht, von wem. Diese Regel gilt für viele Veranstaltungen, auch für das Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort, beim alljährlichen Stelldichein in den Schweizer Bergen, werden ähnliche Themen behandelt, im Zweifel die großen globalen Fragen. Der Mehrwert für die Manager ergibt sich aber im Wesentlichen abseits der offiziellen Podien, auf den vielen Empfängen und noch mehr Eins-zu-eins-Gesprächen in irgendwelchen Luxushotels.
Die Bilderberg-Konferenzen sind anders, kleiner, exklusiver, entspannter. Die Netzwerker reisen allein an; ganz allein, ohne Stab, ohne Assistenten, ohne Personenschützer. Ablenkung ist nicht zugelassen. Jeder hat pünktlich zu den Debatten zu erscheinen, da sind sie strikt. Und nach allem, was an Recherche menschenmöglich ist, scheint bewiesen: Es wird hinter den verschlossenen Bilderberg-Türen weder die nächste Zinserhöhung beschlossen noch der nächste Wahlsieger, nicht mal der Fußball-Weltmeister wird dort vorab ausgeknobelt.
Die Bilder von der Bilderberg-Verschwörung gerieten auch deswegen so bunt, weil jahrelang viel Geheimniskrämerei darum getrieben wurde. Noch 2011 etwa wollte das Luxushotel Suvretta House in St. Moritz nicht einmal zugeben, Austragungsort der Konferenz zu sein. Diese Verschwiegenheit begünstigt das Geschäft der Verschwörungstheoretiker: Die einen beschuldigen die Bilderberger, die Interessen skrupelloser Kapitalisten zu vertreten, die anderen fürchten gar den Aufbau einer globalen Diktatur – die Bilderberger als heimliche Weltregierung. Darauf muss man erst mal kommen.
Um etwas Transparenz herzustellen, existiert mittlerweile eine eigene, wenn auch spärliche Homepage. Dort werden die Themen der Konferenz vermerkt, die Orte der Treffen und die Namen der Teilnehmer; etwaige Beschlüsse finden sich dort nicht – weil es die nicht gibt.
Das durchschaut der geübte Verschwörungstheoretiker allerdings sofort: Natürlich, so hören wir ihn rufen, stellen sie geheime Absprachen nicht ins Netz, die verraten würden, wie sie die Weltherrschaft zu erringen gedenken: So blöd sind die nicht!
Nur, was konkret haben die Bilderberger an verschwörerischen Taten vorzuweisen? Höchste Zeit, ein paar Fakten zu klären. Und wenn nicht die Verschwörer, so doch wenigstens die Theoretiker zu entlarven.
Erstens zum Namen: Die Bilderberger sind keine obskure Sekte, auch kein ideologisch festgefügter Block. Der Name stammt vom Gründungsort, dem „Hotel De Bilderberg“ in Oosterbeek, nicht weit von der niederländischen Stadt Arnheim, wo im Mai 1954 die erste Konferenz stattfand. Elf Amerikaner trafen damals auf fünfzig Delegierte aus elf westeuropäischen Ländern – Politiker, Unternehmer, Journalisten und Gewerkschafter. Man diskutierte die Perspektiven der Weltwirtschaft knapp zehn Jahre nach dem Krieg. Bankier David Rockefeller vertrat die – optimistischere – amerikanische Sicht, der ehemalige britische Schatzkanzler und Labour-Politiker Hugh Gaitskell die europäische Auffassung, die ungleich düsterer und trostloser ausfiel.
Zweitens zu den Initiatoren: Einberufen wurde die Konferenz zum ersten Mal vom niederländischen Prinzen Bernhard auf dringende Bitte von Józef Retinger, einem Mann, dessen Vita zweifelsohne die Phantasie anregt: ein Pole „aristokratischer Herkunft, der während des Zweiten Weltkriegs für den britischen Geheimdienst gearbeitet hat“. So beschreibt ihn David Rockefeller, vom ersten Tag an dabei und über Jahrzehnte ein prägender Bilderberger. Dieser Retinger war demnach ein „dynamischer und energischer Mann, der mit einem sehr schweren Akzent sprach und beim Gehen deutlich hinkte“. Seine Motivation laut Rockefeller: Er machte sich Sorgen um die angespannte Situation innerhalb der atlantischen Gemeinschaft. Deswegen überzeugte er Prinz Bernhard davon, eine Gruppe prominenter Zeitgenossen einzuladen, um über derartige Spannungen zu diskutieren. Diese Risse zwischen Amerikanern und Europäern prägten die ersten zwanzig Jahre der Bilderberg-Treffen, so berichtet Rockefeller über den „scharfen Zusammenprall der gegensätzlichen Ansichten“.
Und ja, es gab auch einen handfesten Skandal. Einen Fall von Korruption und schwarzen Kassen. Er erschütterte die Bilderberger zutiefst, ja, sie befürchteten gar den Zusammenbruch: 1976 kam heraus, dass Prinz Bernhard dem amerikanischen Flugzeugbauer Lockheed angeboten hatte, die niederländische Waffenbeschaffung zu beeinflussen, gegen ein ansehnliches Schmiergeld. Die Beweise dafür wurden immer erdrückender, es sprach etliches dafür, dass Bernhard eine Bilderberg-Konferenz genutzt hatte, um sich mit Mittelsmännern zu treffen. Daraufhin wurde das Treffen 1976 abgesagt. Es schien vorbei zu sein mit dem Forum. Ein eigens ernanntes Komitee aber empfahl, die Tradition fortzusetzen, woraufhin Lord Alec Home, der frühere britische Premier, 1977 den Vorsitz übernahm. Zu seinen späteren Nachfolgern zählte unter anderen, als bisher einziger Deutscher, Walter Scheel, Ex-Außenminister und späterer Bundespräsident, der gerne das Lied „Hoch auf dem gelben Wagen“ sang, aber nie verschwörerischer Qualitäten verdächtigt wurde.
Wie diese Weltregierung aussehen soll, welche die Bilderberger angeblich anstreben, mag man sich auch gar nicht vorstellen: Der Grüne Jürgen Trittin gehörte schon zu dem Kreis, Verdi-Chef Frank Bsirske ebenso – da hätte sich die Elite des internationalen Kapitalismus zuverlässigere Verbündete aussuchen können. Immerhin waren schon die Spitzenleute von Airbus, Allianz, Bayer, Daimler, Deutscher Bank mit von der Partie, voriges Jahr aus der Politik unter anderem CDU-Mann Jens Spahn. Für die vorzugsweise im Internet vagabundierenden Weltdeuter war das im Sommer 2017 der endgültige Beweis: Spahn wird Bundeskanzler. Und zwar, weil die Bilderberger es so wollen. Zum Gesundheitsminister ist er tatsächlich schon mal aufgestiegen. Also, wer braucht noch mehr Beweise?
Die spinnerte Argumentation von der Weltherrschaft geht folgendermaßen: Das Forum hat die Herrschaft über die Massenmedien – und damit über die Köpfe der Menschen. Wahlen zu manipulieren, das ist die geringste Übung. Solcher Nonsens findet sich massenhaft im Netz, der Hass auf die Eliten stützt sich auf die obskursten Quellen.
So behauptet allen Ernstes der Bestseller-Autor Gerhard Wisnewski, amerikanische Präsidenten und erst recht deutsche Kanzler würden von den Bilderbergern nach Gutdünken eingesetzt und wieder ausgetauscht. Alles nur Marionetten. Demnach holte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Treffen im Mai 2005 im Hotel „Überfahrt“ am Tegernsee „seine Papiere“. Heißt unter Verschwörungstheoretikern: Dort wurde Schröders Ende beschlossen. Jawohl. Der Beleg dafür: Im selben Jahr noch hat der SPD-Politiker die vorgezogenen Neuwahlen verloren – angeordnet von den Bilderbergern, so wird zumindest insinuiert. Ach ja, und nicht zu vergessen: Im Mai 2005 ist auch Angela Merkel kurz zu Gast am Tegernsee – warum wohl? Logisch, sie erhält von den Bilderbergern den Marschbefehl. Nur Monate später ist sie Bundeskanzlerin. Das kann kein Zufall sein. Und warum wohl besuchte Olaf Scholz vor Jahren schon die Bilderberg-Konferenz, damals in Spanien? Der Mann ist heute Vizekanzler. Noch Fragen?
Stutzig macht, warum die deutschen Topmanager Carsten Kengeter und Klaus Kleinfeld, beides Bilderberg-Besucher 2017, in ebendiesem Jahr ihre Jobs verloren haben als Chefs von Deutscher Börse und dem amerikanischen Konzern Arconic: Wer hat da aus welchem Grund auf der Konferenz den Daumen gesenkt? Oder warten im Gegenteil höhere Aufgaben auf die beiden? Diese Verschwörung harrt noch der Aufklärung.
David Rockefeller, der voriges Jahr verstorbene Jahrhundertbankier, mokierte sich zeitlebens darüber, was dem Bilderberg-Treffen an Geheimplänen angedichtet wurde: „Das ist ein Fest für Verschwörungstheoretiker.“ Omnipotente internationale Banker hecken mit skrupellosen Regierungsvertretern raffinierte Pläne für eine ignorante und ahnungslose Welt aus, so karikierte er die Vorwürfe und gab zu, noch mehr Gesprächskreise ungeahnter Dimension initiiert zu haben, was beweist: Der Mann hatte jedenfalls mehr Humor als diejenigen, die ihn als Finsterling darzustellen versuchen.
Als wir ihn vor Jahren trafen, berichtete er auch über die „schlimmste Phase“ seine Lebens; die siebziger Jahre, als die flügge gewordenen Kinder sich von der Familie abwandten, ihr Heil im Sozialismus und der Rebellion suchten. Zwei Kinder legten gar den Namen ab: „Rockefeller“ wollten sie fortan nicht mehr heißen, auch nicht sein Geschäft weitertreiben. Stattdessen setzten sie sich für die Frauen- und Ökobewegung ein und gegen das kapitalistische System. David Rockefeller schüttelte den Kopf damals: Wie sollte er eine Weltverschwörung aushecken und den ganzen Globus unterjochen, wenn schon die eigenen Kinder so ausscherten?
Der Text basiert auf einem Kapitel des Buches
„Elitenreport“, Rowohlt-Verlag, Berlin 2018.